Trilogie der Streitenden Reiche - Erster Roman - Der verbotene See by O'Donell Catherine

Trilogie der Streitenden Reiche - Erster Roman - Der verbotene See by O'Donell Catherine

Autor:O'Donell, Catherine [O'Donell, Catherine]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: eBooks, High Fantasy, Romantik, Abenteuer, Mittelalterliche Welt, Schwanensee, Prophezeihung
ISBN: 978-3-95520-667-3
Herausgeber: dotbooks
veröffentlicht: 2015-01-10T05:00:00+00:00


***

Es wurde, wie erwartet, eine lange Nacht, und eine schmale Mondsichel, an die sich ein einziger, heller Stern schmiegte, stand kühl und unnahbar fern über ihnen, als alle gesprochen hatten, die ihre Stimme erheben wollten. Ein kühler Wind wehte über die ungeschützte Lichtung am Flussdelta, und einige der alten Frauen hatten sich weiche, wärmende Decken aus einem Filz um die Schultern gelegt, der aus dem aufgerauten Gras der Seidenpflanze hergestellt wurde, die nur in Anguli wuchs.

Als es schien, dass niemand mehr etwas sagen wollte, erhob Olfros sich abermals. »Dann wird der Siebenerrat jetzt also das Urteil fällen.«

»Olfros«, meldete sich hinter ihr eine tiefe, rauchige Stimme zu Wort, die Nuria sofort erkannte. Keine andere Frau in Anguli hatte eine so dunkle Stimme.

»Ja?«, fragte Olfros. »Möchtest du noch etwas sagen, Bibiana?«

Bibiana trat vor. Sie war, dachte Nuria, vielleicht die Einzige, die heute Abend noch nicht gesprochen hatte.

»Ich möchte Lado im Interesse der Gemeinschaft noch eine Frage stellen.«

Nuria erstarrte. Irgendetwas sagte ihr, dass es die Frage sein würde, die sie den ganzen Abend gefürchtet hatte.

»Woher kanntest du den geheimen Weg, der in die Welt der Dinge führt, Lado?«

Die Zeit schien plötzlich sehr langsam zu vergehen. Nuria war sich mit einer seltsamen Deutlichkeit ihres ganzen Körpers bewusst. Sie spürte ihre Finger, jeden einzelnen, spürte ihre Lippen, die Verkrampfung in ihrem Nacken, ihre Beine, die Füße. Sie hatte das Gefühl, noch nie so klar gewesen zu sein, noch nie so sehr ein Wesen der Gegenwart – denn in diesem Augenblick gab es nur die Gegenwart. Die Vergangenheit hatte aufgehört zu existieren, die Zukunft war so fern wie der kleine, schimmernde Stern am Rund der Mondsichel. Sie blickte empor zu diesem Stern, den die Kinder den Elfenstern nannten, weil er in manchen Nächten da war und in anderen einfach fort. Der Elfenstern Nuria hielt sich mit jeder Faser ihres Seins an dem kleinen Licht fest, das silbern blinkte. Vielleicht war der Stern gar nicht so fern, wie sie immer gedacht hatten. Vielleicht würde sie es sehr bald herausfinden.

Lado, der bereits an seinen Platz zurückgekehrt war, stand wieder auf. Sein Körper bewegte sich unendlich langsam unter dem Licht des Elfensterns. Sein kantiges, von kurzem, schwarzem Haar umrahmtes Gesicht, das so hart wirken konnte, lag im Dunkeln, ebenso wie die Augen, in denen früher immer diese unbestimmbare Traurigkeit gestanden hatte. Nuria blickte zwischen ihm und dem Elfenstern hin und her – wo war sie geblieben, die Zeit? War sie eingefroren, wie in ganz seltenen Jahren einmal das Wasser am Ufer des Sees? Eingefroren die Zeit und der See und damit alles, was es auf der Welt Sicheres und Verlässliches gab. Und sie verließ ihren Körper, schwebte über der Decke aus Fackellicht und versuchte, zu ihrem Stern emporzufliegen.

Verbannung aus Anguli ... Verbannung aus Anguli ...

In ihrem Kopf dröhnten immer wieder dieselben Worte, so dass sie kaum hörte, was Lado auf Nurias Frage antwortete. Erst der Nachhall seiner Worte drang langsam in ihr Bewusstsein.

Ich habe den Weg zufällig entdeckt, auf einem meiner Streifzüge.

Und wie ein Echo dann Bibianas Stimme, weich, voll und ungläubig.



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